Interview mit Salomon Kölner Stadt-Anzeiger 18.10.2009

In gutem Sinne bürgerlich

Schwarz-Grün verlässt die No-go-area. In Hamburg und im Saarland stehen stabile Koalitionen. Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon von den Grünen spricht im Interview mit Thomas Geisen über die Nähe seiner Partei zur CDU.


KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Salomon, die Freiburger CDU verzichtet für die OB-Wahl auf einen eigenen Kandidaten. Freut Sie das, oder macht Sie das in Ihrer Partei verdächtig?

Freuen ist der falsche Ausdruck. Ich gehe davon aus, dass, wenn die CDU eine Chance gehabt hätte, die Wahl am 25. April 2010 erfolgreich zu bestehen, sie einen Kandidaten nominiert hätte. Ob das die Situation für mich jetzt einfacher macht, das wird man sehen.

Aber die CDU soll ja auch ganz zufrieden mit Ihnen sein ...

Was mich nun auch nicht wundert, da wir in den vergangenen drei Jahren sehr eng zum Beispiel bei der Haushaltskonsolidierung gegen eine selbst ernannte Opposition von SPD und Linken kooperiert haben. Daneben gab es Erfolge beim Klimaschutz, beim Ausbau der Betreuung für Unter-Dreijährige oder bei einer umfassenden Integrationspolitik. Ein CDU-Kandidat hätte nun auch erklären müssen, warum das alles falsch gewesen ist.

Tatsächlich scheint Schwarz-Grün langsam die No-go-area zu verlassen. Hamburg arbeitet geräuschlos und solide, im Saarland hält Grün den Wahlverlierer Peter Müller im Sattel ...

Ich glaube, dass Fünf-Parteien-System wird dann komplett, wenn sich die Linken als Machtfaktor etablieren. Wenn sie das wollen, werden sie sich dem gleichen Prozess unterziehen, dem sich die Grünen in den 80er Jahren unterzogen haben: Sie müssen sich von ihrem Fundi-Saum trennen und müssen Realos, also eine klassisch-links-sozialdemokratische Partei werden. Dann werden sie auf Länderebene koalitionsfähig werden...

... ich hatte eigentlich zur Union gefragt ...

... und ich wollte nur hinweisen auf den Umstand, dass in einem Fünf-Parteien-System alle Konstellationen möglich werden, also auch Schwarz-Grün. Das bedeutet im Übrigen ebenso, dass Grüne und die FDP ihre mit Hingabe gepflegte Antipathie beenden. Das hat mir doch zu viel mit Westerwelle zu tun. Ich habe während meiner zehn Jahre im baden-württembergischen Landtag ein sehr herzliches Verhältnis zu FDP-Kollegen gepflegt. Ich verstehe auch gar nicht, warum die FDP inkompatibler mit den Grünen sein sollte als die CDU. Hier sind gesamtpolitische Lockerungsübungen im Gange.

Wer bekommt denn dabei mehr Muskelkater: Die Union oder die Grünen?

Die CDU hat in einem viel atemberaubenderen Tempo Positionen geräumt: Frau Merkel beim Thema Klimaschutz, Frau von der Leyen bei der Kinderbetreuung. Herr Schäuble hat den Islamgipfel organisiert, nicht Herr Schily. Und die Union hat die Hürden aus dem Weg geräumt beim Thema Einwanderungsland. Und weder im Saarland noch in der Kommune entscheiden sie über Atomkraft.

Also springt die Union bei einer schwarz-grünen Annäherung mehr über ihren Schatten?

Das ist von Landesverband zu Landesverband unterschiedlich. In Baden-Württemberg, wo die Grünen auf Landesebene noch nie eine realistische Machtperspektive gehabt haben, ist Schwarz-Grün möglich. Dort ist es bislang an der CDU gescheitert. Im linken NRW-Grünen-Verband gibt es mittlerweile Annäherungssignale. Und in Hamburg war es ja ein eher linker Landesverband, der Schwarz-Grün gewagt hat. Man kann sich also auf gar nichts mehr verlassen.

Wie bewerten Sie denn diese Unzuverlässigkeit?

Ein Gewinn natürlich. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass man zwischen guten Demokraten - ausgenommen Rechtsaußen und Teile der Linkspartei - Koalitionen eingehen kann. Die Zeichen stehen auf Ent-Ideologisierung.

Gerade bei den Grünen wird diese Beweglichkeit schnell mit Fragen nach der Glaubwürdigkeit verbunden. So warnt die Grüne Jugend jetzt vor einem Koalitions-Hopping und vor Beliebigkeit.

Also nichts gegen die Grüne Jugend, aber das ist nicht die Organisation, die in dieser Diskussion am einflussreichsten ist. Ich glaube nicht, dass die Grünen gut beraten sind, sich als dritte linke Partei zu positionieren. Dort sind die Originale SPD und Linke die bessere Alternative. Die Grünen sind das Original für ökologische Politik. Sie haben auch eher staatsferne und staatskritische Wurzeln und sind nicht so staatsverherrlichend wie die Linke und große Teile der SPD. Gleichwohl sind wir eine Partei, die explizite Vorstellungen bei sozialer Gerechtigkeit hat, und das schon immer auch auf die Dritte Welt ausgerichtet. Soziale Gerechtigkeit ist in unserem Verständnis auch nicht nur eine Frage des Geldes, Solidarität findet in kleinen Netzen statt, was dann wiederum an die katholische Soziallehre anknüpft.

Also sind die Grünen in der bürgerlichen Mitte angekommen?

Die Wählerschaft ist da längst angekommen. Sie fühlt sich links, das heißt solidarisch, da man keine Ellbogengesellschaft will. Ziel ist eine harmonische Gesellschaft, in der keiner durch den Rost fällt. Die Grünen sind im guten Sinne eine bürgerliche Partei, obwohl viele dabei an Biedermeier und Hirschgeweih überm Sofa denken. Aber auch über solche Klischees ist die Zeit hinweggegangen.

Ent-Ideologisierung, Realismus - die Grünen müssen also nach allen Seiten offen sein, denn nur wer Macht hat, kann etwas machen . . .

Ich war zehn Jahre Abgeordneter im Landtag. Meine Spuren, die ich dort hinterlassen habe, beschränken sich auf das Schreiben von Anträgen und das Halten frecher Reden. Wer aber gestalten will, der weiß, dass er das nur aus der Exekutive heraus schaffen kann. Deshalb muss der natürliche Anspruch einer Partei sein, zu regieren. Alles andere ist lächerlich. Diese Erkenntnis durchzusetzen, hat in den Reihen der Grünen zehn Jahre gedauert.

Und wie lange wird es dauern, bis wir eine schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene erleben?

Also wir werden, glaube ich, nie einen schwarz-grünen Wahlkampf führen. Vielleicht sind wir in vier Jahren mal so weit, dass man über Schwarz-Grün im Bund verhandelt. Fänd' ich natürlich spannend.

(Das Gespräch führte Thomas Geisen)





Zur Person

Dieter Salomon



Erstellt 18.10.09, 22:01h

Dieter Salomon wurde am 9. August 1960 in Melbourne( Australien) geboren. Seit seinem vierten Lebensjahr wuchs er im Allgäu auf. Ab 1981 studierte er an der Universität Freiburg Politikwissenschaft, Finanzwissenschaft und Romanische Philologie. 1991 promovierte er im Fach Politikwissenschaft mit einer Arbeit zum Demokratieverständnis der Grünen. Nach verschiedenen Funktionen beim Freiburger Kreisverband und im Landtag von Baden-Württemberg wurde er am 5. Mai 2002 im zweiten Wahlgang mit 64,4 Prozent der Stimmen für eine Amtszeit von acht Jahren zum ersten grünen Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt gewählt. Seine Wiederwahl im kommenden April ist wahrscheinlich, da die CDU vor einigen Tagen auf einen eigenen Kandidaten verzichtet hat. (ksta)