WIR SIND DAS RATHAUS! Warum Freiburg einen neuen OB braucht

Diskussionsbeitrag von Michel Moos zur Frage einer linksalternativen Kandidatur zur OB-Wahl

Freiburg hat große Potentiale in allen kommunalen Bereichen. Das größte Potential ist seine aktive Bürgerschaft. Die Menschen sind in großer Zahl bereit, sich einzubringen, wenn man sie lässt und wenn sie nicht zur Dekoration der Stadtpolitik missbraucht werden. In den letzten 8 Jahren haben sich zahlreiche Initiativen aus der Bürgerschaft gebildet, aber nicht mit sondern gegen den amtierenden OB. Beispielhaft seien erwähnt der Runde Tisch Hartz IV, die BI Wohnen ist Menschenrecht, Kultur macht reich oder gegen die Bebauung des Fauler-Parks im Grün.

Salomon, ins Amt gekommen mit den Stimmen der grünen, SPD und links-alternativen WählerInnen, hat sehr schnell gezeigt, dass ihm der alte grüne Grundsatz der Basisdemokratie vollständig fremd ist. Er hat Politik mit den Mächtigen gemacht und mehr als einmal demonstriert, dass ihm Demokratie von unten suspekt und unangenehm ist. Als die Fraktion der Unabhängigen Listen im Gemeinderat maximale Transparenz auch bei städtischen Gesellschaften forderte, rastete er aus.

Viele Menschen haben ihn als arrogant erlebt, was nichts anders als Ausdruck dieses Politikstils mit und für die Mächtigen in der Stadt ist. Diese Politik hat Salomon nicht alleine gemacht, sie wurde unterstützt und getragen vor allem vom ersten BM Otto Neideck und den schwarz/grünen Fraktionen im Freiburger Gemeinderat. Folge dieser Politik ist, dass die kreativen Potentiale, die in Freiburg vorhanden sind, nicht genutzt werden und die Stadt auf vielen Feldern in ihrer Entwicklung stagniert.

- „green city“ wird zwar weltweit erfolgreich vermarktet, zehrt aber weitgehend von den Entwicklungen der 70er, 80er und 90er Jahre. Ein weiterer radikaler Umbruch wäre notwendig, im Ausbau des ÖPNV und seiner radikalen Verbilligung, in der Verdrängung des Lkw und Pkw Verkehrs aus der Stadt, im massiven Ausbau des Radwegenetzes, in der Finanzierung der energetischen Altbausanierung, im Ausbau der erneuerbaren Energie und vielem mehr. Das alles findet aber nicht oder halbherzig statt, stattdessen sind weiterhin die Ausgaben für Straßenbau im Investitionshaushaltsplan für die nächsten Jahre an erster Stelle. Folgerichtig unterstützt Salomon auch den Ausbau der A 5.

- der groß angekündigte Bürgerhaushalt wurde von Salomon zur erweiterten demoskopischen Umfrage degradiert. Die vielen Menschen, die sich aktiv eingebracht haben in der Stadtkonferenz, wurden links liegen gelassen, ein Ausbau der Bürgerbeteiligung in kleinteiligen Bezirksstadtkonferenzen rundweg abgelehnt. Bezeichnend, das Salomon das Schreckgespenst des Einstiegs in die Räterepublik im Gemeinderat zeichnete, um eine Weiterentwicklung des Beteiligungshaushaltes hin zu den Stadtteilen zu verhindern. Er will ausschließlich traditionelle Machtentfaltung, alles andere lässt sein politischer Horizont nicht zu.

- soziale Fragen sind dieser Politik fremd. Salomon war bereit 8500 Wohnungen an Privatinvestoren zu verkaufen, weil ihm die Situation der in diesen Wohnungen lebenden Menschen völlig gleichgültig war. Es ist ihm auch kein Problem, dass die Mieten unerträglich gestiegen sind. Neubaumaßnahmen der Stadtbau finanziert er ganz offen über Mieterhöhungen der Altmieter. Ein Sozialticket bei der VAG kann nur gegen ihn durchgesetzt werden, ebenso wie der Familienpass gegen ihn durchgesetzt werden musste. Für ihn zählte und zählt ausschließlich das Zahlenwerk des Haushaltes, daneben haben städtischen Wohnungs- und Sozialpolitik keine Bedeutung. Er will punkten als Haushaltssanierer, alles andere ist ihm mehr oder weniger gleichgültig.

- dieselbe Ignoranz legte er gegenüber den Kultureinrichtungen der Stadt an den Tag. Er war jederzeit bereit, das Stadttheater finanziell zu erdrosseln. Das Kulturkonzept Freiburgs, erarbeitet von vielen Menschen, ist ihm egal. Eine seiner Lieblingsbemerkungen ist, „da bin ich völlig leidenschaftslos“, das galt von Anfang an auch gegenüber den Kultureinrichtungen. Nur konsequent, dass er entgegen seinen Versprechungen im OB Wahlkampf ein eigenständiges Kulturdezernat nicht wieder eingerichtet hat.

- die groß von ihm angekündigte Verwaltungsreform blieb Stückwerk. Gespart hat er, indem wichtige Stellen einfach nicht mehr besetzt und Ämter zusammengelegt wurden. Damit hat z.B. die kommunale Statistik, wichtig als Grundlage für alle politischen Entscheidungen, schweren Schaden genommen. Es zeigte sich, dass dort, wo Gutachter genau hingeschaut haben, die Personaldecke in den Ämtern eher als zu gering bewertet wurde, so z.B. bei den Allgemeinen sozialen Diensten. Deshalb kehrte Salomon wieder zur Räsenmähermethode bei den Personalkosteneinsparungen zurück, mit negativen Wirkungen, die ihm aber offensichtlich gleichgültig sind.

- Salomon, der sich gerne in Interviews als ideologiefrei verkauft, zeigt in zugespitzten Auseinandersetzungen sehr schnell, wes Geistes Kind er ist. Im Streik der Erzieherinnen um eine bessere Vergütung und bessere Arbeitsbedingungen hetzte er weit über das in den Tarifkämpfen übliche Maß hinaus gegen die Gewerkschaft verdi und warf ihr vor, sie würde die Erzieherinnen „in Geiselhaft“ nehmen. Seine guten Beziehungen zur Wirtschaft sind bekannt, er war und ist deren Sachwalter und ist gerade deshalb für die CDU ein guter OB.

- Salomon hat keinerlei Skrupel, demokratische Rechte einzuschränken. Die ausufernde Videoüberwachung in der Stadt ist ihm egal, ebenso wie die Lebenssituation von Minderheiten. Im Zweifel setzt er auf Verbote und musste sich durch den VGH sagen lassen, dass seine Polizeiverordnungen gegen das Mit sich führen von Alkohol in der Innenstadt und gegen Alkohol trinkende Gruppen in der ganzen Stadt rechtswidrig sind. Salomon nimmt dies keineswegs zum Anlass, um seine Politik selbstkritisch zu überprüfen, sondern setzt jetzt auf den Landesgesetzgeber, um dieselbe Politik weiterzuführen. StudentInnen, die nach Freiburg kommen wegen seines liberalen Rufs, stellen immer wieder erstaunt fest, dass es hier von Verboten, Überwachungen und Reglementierungen weitaus mehr gibt, als in vergleichbaren Städten.

- die Stadtplanung und -entwicklung als politische Aufgabe ist in seiner Amtszeit völlig an den Rand gedrängt worden. Ein eigenständiges Baudezernat wurde – gegen die Stimmen der UL – von schwarz-grün abgeschafft, die Ämter auf 3 Dezernate aufgeteilt. Der Stadtentwicklungsausschuss des Gemeinderats hat selten getagt, er sollte gar abgeschafft werden. Das Stadtplanungsamt wurde degradiert zur Abteilung für die Ausfertigung von Bebauungsplänen, der Nachhaltigkeitsrat, die Agenda 21 sind ohne jeden Einfluss auf die praktische Politik. Dagegen geben sich die großen Projektentwickler und Bauträger im Rathaus die Klinke in die Hand, Unmüßig bebaut ein Viertel nach dem anderen, worüber Salomon nur ins Schwärmen kommt. Eine Perspektivendebatte über Baupolitik findet unter Salomon nur außerhalb des Rathauses, bei Architekten, den Step-Frauen oder beispielsweise auf einer Veranstaltung der UL zum Gestaltungsbeirat der Stadt Regensburg statt.

Die WählerInnen haben einen grünen Kandidaten gegen eine CDU-Kandidatin gewählt und einen CDU kompatiblen OB und jetzt Mit-Kandidaten bekommen, der in Interviews davor warnt, dass die Grünen sich nach links entwickeln und für Koalitionen der Grünen auch auf Bundesebene mit der CDU und FDP rät. Hauptsache Machtbeteiligung, das ist die Quintessenz eines Interviews, das Salomon am 18.10.09 dem Kölner Stadtanzeiger gegeben hat.

Aus der Betrachtung dieser Defizite ergeben sich zahlreiche Anhaltspunkte, welche Politik Freiburg braucht, welches auch die Anforderungen an einen OB Kandidaten, eine OB Kandidatin sind.
In welcher Stadt wollen wir leben? Die nächsten 6 Monate bieten eine hervorragende Zeit, um diese Frage aufzuwerfen und mit vielen Menschen zu diskutieren. Schon deshalb ist es notwendig, dass sich die links-alternativen Kräfte in Freiburg in diese Wahlen einmischen und dies ist nach unseren Erfahrungen im Wahlkampf 2002 am Besten mit einem eigenen Kandidaten oder Kandidatin möglich. Die Kandidatur des Sozial- und Kulturbürgermeisters gegen Salomon ist begrüßenswert. Auch wenn v. Kirchbach die Politik Salomons mitgetragen hat und mittragen musste, gibt es deutlich Unterschiede zwischen OB und Sozial- und Kulturdezernent. Dies aber kann einen Verzicht auf einen Kandidaten/in aus dem links-alternativen Spektrum nicht rechtfertigen. Dies wäre vielmehr ein schwerer Fehler, der durch ein wie immer gestaltetes sonstiges Eingreifen in den Wahlkampf nicht ausgeglichen werden könnte.
Am 22.10.09 trafen sich 25 Menschen, von Günter Rausch eingeladen, um über die OB Wahl zu diskutieren. Es war eine gute Diskussion ohne feste Ergebnisse aber doch mit der klaren Tendenz, dass eine Kandidatur wünschenswert ist, die sich auf die sozialen und politischen Bewegungen der Stadt stützt und diese fördert. Am Schluss wurde als nächster Termin der Do. 5. 11. vereinbart mit dem Ziel, die Interessierten beider Treffen dort zusammen zu führen.

Abschließend: Salomon wird auf einen Wahlkampf setzen, der keiner ist. Er rechnet damit, dass er als Amtsinhaber mit der Unterstützung von CDU und Grünen, ebenso wie vielen Freien Wählern wieder gewählt wird. Die Möglichkeiten v. Kirchbachs, einen offensiven Wahlkampf zu führen sind begrenzt, weil er gleichzeitig Dezernent unter Salomon ist und sich um die Wiederwahl im Februar im Gemeinderat bewirbt. Also hängt vieles von uns ab. Ich hoffe, wir nutzen diese Möglichkeit so wie wir sie vor 8 Jahren genutzt haben. Damals waren wir eine Fraktion von 2 Stadträten und 1 Stadträtin. Heute sind wir eine Fraktionsgemeinschaft von 7. Der OB Wahlkampf 2002, bei dem ich von vielen unterstützt wurde, sonst wäre er nicht so erfolgreich verlaufen, war dafür eine wichtige Voraussetzung.
Wird Salomon OB bleiben? Über diese Frage entscheiden die WählerInnen am 25. April 2010. Bei OB Wahlen gab es schon oft Überraschungen. Machen wir das Beste aus den Möglichkeiten, die die OB Wahl 2010 bietet.

M. Moos, 23.10.09