Kritik am 1. Freiburger Bildungsbericht - Für ein solidarisches Schulwesen

Ende 2008 präsentierten OB Dr. Salomon und Bürgermeisterin Stuchlik den 1. Freiburger Bildungsbericht, der - wie es in einem Begleitschreiben heißt - „ein hervorragendes Instrument ist, um Entwicklungsfelder zu benennen und als Orientierung für zukünftige Aktivitäten zu nutzen.“ (Nur nebenbei: Der Bericht wurde der Presse präsentiert ohne vorherige Diskussion im Ausschuss für Schulen und Weiterbildung (ASW) oder im Gemeinderat.)

„Bildung ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben der Gesellschaft“ schreiben Salomon und Stuchlik im Vorwort, und: „Bildung ist ökonomisch ertragreich und wirkt präventiv gegen Armut und soziale Ausgrenzung“.

Solch große Worte wecken Erwartungen, die weitestgehend enttäuscht werden: erst auf Seite 44 des 110-seitigen Berichts ist wieder die Rede davon, dass „Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam mit den Eltern darauf achten müssen, dass soziale Aspekte (…) im familiären Umfeld für die Wahl der weiterführenden Schulart nicht ausschlaggebend sein dürfen“, weil PISA und IGLU darauf hinweisen, „dass Kinder unterer Sozialgruppen auch bei gleicher Schulleistung bei der Übergangsentscheidung benachteiligt sind“.

Warum ist dies nur Aufgabe der „Lehrerinnen und Lehrer, gemeinsam mit den Eltern“? Warum wird hier die politische Verantwortung für die Abhilfe erkannter Missstände negiert? Und warum sind dies die einzigen Zeilen auf 110 Seiten Bildungsbericht, in denen dieses (laut PISA und anderen Studien) zentrale Problem deutscher Schulbildung überhaupt angesprochen wird?

Auch weitere wirklich brennende Probleme im Bildungsbereich werden im Freiburger Bildungsbericht nicht einmal erwähnt: die Auswirkungen zu großer Klassen, von Lehrermangel und umfangreichen Unterrichtsausfalls, des erhöhten Leistungsdrucks und der Überlastung von LehrerInnen durch G8 oder auch fehlender Schulsozialarbeit scheinen nach Auffassung der AutorInnen für die Qualität von Bildung keinerlei Rolle zu spielen.

Umfangreiche, kostenlose Werbung für eine private Stiftung (Bertelsmann) prägt dagegen den Bericht genauso, wie die Verwendung von „Ergebnissen eines Städte-Rankings“ der politisch sehr tendenziösen „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“.

In letzterem liegt vermutlich die einseitige Auswahl begründet, nach der Themen und Ergebnisse des 1. Freiburger Bildungsberichts festgelegt wurden. Fast jede gesellschaftliche und politische Verantwortlichkeit für Bildung wird ausgeblendet, einer neoliberal geprägten „Qualitätssicherung“ wird gehuldigt, und die brennenden Fragen von Bildung und Ausbildung werden in hochtrabenden Einlassungen abgetan: „Bildung ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben der Gesellschaft“. Alles ganz im Sinne von Bertelsmann und INSM…

Dass durchaus die Möglichkeit besteht, in einem derartigen Bericht den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Situation und Nutzung von Bildungseinrichtungen darzustellen, zeigt das erfreulich breite Eingehen des Berichts auf Unterschiede zwischen ausländischen und deutschen Kindern in Bezug auf Schulübergänge, Abbrecherund Wiederholerquote und den Anteil von Abgängern ohne Schulabschluss. Eine entsprechende Darstellung des Zusammenhangs zwischen sozialer Situation (der Eltern) und Schulsituation der Kinder ist - den politischen Willen dazu vorausgesetzt - ohne weiteres möglich.

Die LINKE LISTE - Solidarische Stadt stellt zusammenfassend fest:
  • Der Freiburger Bildungsbericht wird den Ansprüchen nicht gerecht.
  • Die massive bildungsmäßige Benachteiligung von Kindern aus armen Haushalten als zentrales Ergebnis von PISA und anderen Studien wird ausgeblendet - die AuftraggeberInnen und die AutorInnen des Berichtes legen darauf offensichtlich keinen Wert.
  • Auch weitere wirklich brennende Problem im Bildungsbereich werden nicht einmal erwähnt: zu große Klassen, Lehrermangel, Unterrichtsausfall, erhöhter Leistungsdruck und Überlastung durch G8 und fehlende Schulsozialarbeit scheinen für die Qualität von Bildung keinerlei Rolle zu spielen.
  • Die kostenlose Werbung für die Bertelsmannstiftung und „Ergebnissen“ der tendenziösen „Initiative neue Marktwirtschaft“ sind inakzeptabel.
Die LINKE LISTE - Solidarische Stadt fordert die Stadtverwaltung auf, einen unabhängigen Bildungsbericht zu erstellen, der Auskunft gibt über:
  • die Übergangszahlen von sozial benachteiligten SchülerInnen zwischen den einzelnen Schularten
  • die Abbrecher- und Wiederholerquote von sozial benachteiligten SchülerInnen und den Anteil von Abgängern ohne Schulabschluss
  • die prozentuale Beteiligung von sozial benachteiligten SchülerInnen in verschiedenen Schularten und -stufen (Grund-, Haupt-, Real-, Sonderschule, Gymnasium in Unter-, Mittel-, Oberstufe und Berufsschulen)
  • die Auswirkungen von Lehrermangel, Unterrichtsausfall, G8 oder fehlende Schulsozialarbeit auf die Bildungschancen von Schülern in den verschiedenen Schularten und -stufen.
Martin Klauss, Listenplatz 6

Der „Bildungsbericht“ kann unter: www.freiburg.de/servlet/PB/show/ 1202142_l1/
Bildungsbericht_Freiburg_2008_Webversion.pdf
heruntergeladen werden.