Gemeindratssitzung 14.3.2017: Rede zur Quartiersarbeit von Linke Liste Stadträtin Ulrike Schubert



Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,  sehr geehrter Herr Bürgermeister von Kirchbach, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Empore,
Um was geht es bei Quartiersarbeit? : „ … den Handlungsspielraum der Stadt effektiv erschließen, um Dienstleistungsqualität “? Offensichtlich  darum geht es der beauftragten Gutachterfirma  Con_sens, die Erfahrung vorweist vor allem in reinen Verwaltungsprozessen  – wie  Eingliederungshilfe, Sozialhilfe, Jugendhilfe. Aber:  Con_sens wies bislang keine Erfahrung auf bei der Evaluierung von Gemeinwesenarbeit und Quartiersarbeit.  
Sicher, das vorliegende Gutachten liefert uns nützliche Daten zu Stellenkapazitäten, Budgets, zur defiztorientierten Auswertung von Freiburger Statistiken. Aber eine solche Blickrichtung erfüllt leider nur unzureichend unseren interfraktionellen Antrag aus 2015:
  • Die Unterscheidung von sozialräumlichem Gemeinwesen, den Aufgaben zukünftiger Quartiersarbeit einerseits sowie den kommunalen Aufgabenbereichen andrerseits!
  • Eine zukunftsfähige Fachdebatte und anschließende Neuausrichtung der Quartiersarbeit – beides gemeinsam mit allen Akteuren.
  • Qualitätsentwicklung , Partizipation und Empowerment -  Selbstbefähigung der BewohnerInnen im Quartier.
  • Welche partizipativen Prozesse wurden in den Quartieren initiiert? Wo und in welchem Umfang gibt es Bürgerschaftliches Engagement und gerade WIE werden diese Aktivitäten in die Quartiersarbeit eingebunden - generationsübergreifend und interkulturell.  Nichts davon steht im Gutachten!
Den angebotenen Konsequenzen im Gutachten und auch der Verwaltungsvorlage fehlt es leider entschieden an Mut und Weitblick – mal ganz abgesehen von der leider rein verwaltungsfokussierten Blickrichtung. Da geht es allein um „ Defizite, Bedarfsklassen, Sozialindikatoren, wie gesagt - um Effektivität – und Empfehlungen im  Kontext knapper städtischer Finanzen.  
So wird die Weiterentwicklung von langfristig aufgebauter Quartiersarbeit in kleineren oder neueren Stadtteilen erst gar nicht empfohlen , geschweige denn die sinnvolle Ausdehnung von Quartiersarbeit sukzessive auf die Gesamtstadt in Betracht gezogen. Beschränkung heißt hier der Leitspruch.


Quartiersarbeit zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie im ganzen Stadtteil die BewohnerInnen bei ihren selbst formulierten Interessen unterstützt und so Hilfe zur Selbsthilfe leistet. Quartiersarbeit befähigt sie, für die eigenen Interessen aktiv zu werden und Erfolge auch auf ihrer Seite verbuchen zu können. Wie passt es zusammen, dass z.B. empfohlen wird, eine Zuspitzung der Quartiersarbeit auf das Thema Mieten solle doch vermieden werden? Wie soll Quartiersarbeit agieren, wenn ein so existenzielles Thema wie z.B. die Wohnkosten -  oft genug 40% oder mehr des Nettoeinkommens  -  den Alltag der Bewohner bestimmt?  Entsteht bei Widerständen und Vernetzungen im Stadtteil  dann unkontrollierbarer „Wildwuchs“, wenn die Quartiersarbeit auch solche Bewohnerinteressen aufgreift? Eine lebendige und demokratische Stadt kann auch mit Widerständen souverän umgehen kann und gemeinsam Lösungswege debattieren und festlegen.
Eines ist erstaunlich und erfreulich: Con_sens schlägt die Einrichtung von Quartiersbeiräten und Stadtteilkonferenzen mit eigenem Budget für alle Freiburger Stadtteile vor. Diesen Punkt unseres Antrags suchen wir bei Grünen, CDU u.a. leider vergebens.


Den Antrag auf Neuausschreibung aller Träger, und zwar nur großer Träger mit mindestens 4 Fachkräften in 2 Gebieten - lehnt unsere Fraktion ab: Kleinere Träger können sich so gar nicht erst bewerben! Also gerade die, die u.a. auch mit ihrer unschätzbar ehrenamtlichen Zeit der Stadt enorme Kosten erspart haben- Das geht gar nicht.
Der Schaffung einer Konkurrenzsituation unter den Trägern,   möglicherweise einer Vergabe an in Gemeinwesenarbeit unerfahrene   Träger -  werden wir auf keinen Fall zustimmen – weder im Interesse des Stadtteils noch der langjährig Aktiven.  Bezüglich einer  Ausschreibung für neu zu schaffende Quartiersarbeit wie z.B. für  Mooswald Ost, für das Güterbahn-Gelände oder Dietenbach sind wir selbstverständlich offen. Die Ausschreibungskriterien  allerdings möchten wir vorher abstimmen im  Sozialausschuß und Gemeinderat. Dabei muss eins der Kriterien sein, dass der neue Träger in diesem Quartier bereits verankert ist oder daß eine Stadtteilkonferenz vor Ort für diesen Träger  votiert.
Ein zukünftiges Festschreiben aller Zuschüsse für Quartiersarbeit lehnt unsere Fraktion ab. Im Fall einer Ausweitung von Quartiersarbeit wäre sonst eine Kürzung bei den etablierten Stadtteilen die Konsequenz , und das geht gar nicht. Wir befürworten eine stufenweise Weiterentwicklung von Quartiersarbeit für potentiell alle Freiburger Stadtteile.
Unsere Fraktion hält zunächst eine Beibehaltung der jetzigen Trägerlandschaft für sinnvoll: Dies als Ausgangspunkt für einen von allen mitgetragenen und offensichtlich notwendigen Fachprozess zur Qualitätsverbesserung. Hier geht es um städtische Zielsetzungen, um Fachbeiträge und um die Aufgaben von Quartiersarbeit. Es geht um die Inhalte, um gute Aufstellung und selbstverständlich auch um  Overheadkosten wie je nach Stadtteil und Träger für Buchführung, Anmietungen oder Internetbetreuung  – dies in großen wie kleinen Stadtteilen. Im Falle eines eventuell auch sinnvollen Trägerwechsels beantragt unsere Fraktion dazu die klare Zustimmung wie des Quartiersbeirats in dem betreffenden Stadtteil.  
So kann sichergestellt werden, dass die ehrenamtlich Aktiven durch Würdigung ihres Votums auch dabeibleiben. Sie werden so weiter ihr direkt vor Ort erworbenes Spezialwissen einbringen und den weiteren Prozess gerne mit tragen!


Genauso braucht es für die Zielvereinbarungen von Gemeinderat, Quartiersmanagement und der Fachgruppe Gemeinwesenarbeit -  gerade für mittel- und kurzfristige Ziele – einen im jeweiligen Stadtteil  organisierten Diskussionsprozess. Einer gemeinsamen Vereinbarung zum Abschluss sollen ebenso gerade die Quartiersbeiräte oder vergleichbare Stadtteilgremien ihre Zustimmung erteilen. So werden sie an der konkreten Umsetzung in den kommenden 2 Jahren auch gern mitwirken.


Grüne, CDU, FW und FL/FF empfehlen in ihrem Antrag die Methode der Zielvereinbarungen aus Malstatt auch für Freiburg .Das ist schon interessant. Denn dieses Modell würde für die zukünftige Quartiersarbeit Freiburg die direkte Verquickung von Gemeinwesenarbeit direkt mit den kommunalen Aufgaben bedeuten:   Errechnung von Jobcenter - Leistungen, Überprüfung von Bescheiden,  Soziale Erstberatung mit Clearing oder bei Mehrfachproblematiken. Das sollte von fachlich dafür versierten kommunalen SozialarbeiterInnen wahrgenommen werden und nicht von QuartiersarbeiterInnen.
Warum in Freiburg bei der Ämtertrennung 2010 – auch unter Mitwirkung von con_sens -  der für solche Aufgaben geeignete Allgemeine Soziale Dienst (ASD ) abgeschafft wurde- kann man nur erraten.
Sicher, wir leben in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spaltung in Arm und Reich – auch in Freiburg und mit entsprechenden Aufgaben für städtisches Handeln. Aber bitte: Dann muss das Amt für Soziales und Senioren dafür sorgen, dass diese wieder von städtischen Sozialarbeitern ausgefüllt werden.


Die Arbeitsgemeinschaft Freiburger Bürgervereine AFB mit ihren 18 Stadtteilen stellt dazu richtig fest, dass es  bei der öffentlichen Verwaltung um unterstützende Funktion geht. Eine reinweg zentrale Steuerungsfunktion gehe an einer „an den Bürgern orientierten Quartiersarbeit vorbei“. Und völlig richtig heißt es:   Quartiersarbeit ist „ keine Form der städtischen Sozialarbeit“.


Also: Den BürgerInnen vorgesetzte – als eine Art rein „betreuender Pädagogik von oben“ wird eher nicht Vertrauen, sondern mehr soziales Misstrauen schüren , siehe die Bürgerumfrage der Stadt.  
Ein sich enttäuschtes Zurückziehen von interessierten BürgerInnen oder sogar Ehrenamtlichen, die ja gerade durch Anerkennung und Mitbestimmung aktiv bleiben, wäre doch ein fatales Zeichen für diese Stadt. Und nur nebenbei: Würde es jemand nur kühl durchkalkulieren  – das Engagement wäre in Geld gar nicht aufzuwiegen.


Die auch von uns für den Qualitätsprozess der Quartiersarbeit befürwortete Gründung einer Fachgruppe Gemeinwesenarbeit beinhaltet vonseiten der Grünen/CDU, FW und FLFF leider , dass ausgerechnet 1 oder 2 VertreterInnen  des Freiburger Regionalen Arbeitskreises Gemeinwesenarbeit - FRAG nicht dort mitwirken können. Ausgerechnet diejenigen, die – leider im Gegensatz zur Verwaltung - seit Jahren eine Fachdebatte zu Quartiersarbeit auf hohem Niveau führen, mit Katholischer oder Evangelischer Hochschule o.a. Also diejenigen, die an der Basis die Arbeit vor Ort machen, werden nicht einbezogen. Aufsichtsräte von Unternehmen und konkret hier auch Con_sens sind da weiter mit der Einbeziehung von Beschäftigten. Con_sens selber bezieht sich in seinem Gutachten zurecht auf die fachlichen Kriterien der FRAG !
Daher plädieren wir u.a. heute für eine Mitwirkung der FRAG in der Fachgruppe Gemeinwesenarbeit und bitten um getrennte Abstimmung unseres Antrag in Punkt 3 ( FRAG mit 1-2 VertreterInnen in die Fachgruppe) . Und vor allem bitten wir um Ihre Zustimmung, damit  Quartiersbeiräte oder Stadtteilkonferenzen direkte Mitbestimmungsrechte wahrnehmen können: Bei den 2 jährlichen Zielvereinbarungen für ihren Stadtteil, beim Projektmittelfonds oder bei eventuellem Trägerwechsel - dies alles im Interesse einer echten Zukunft für lebendige, bürgernahe Quartiersarbeit in Freiburg !
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Schriftfassung)