Michel Moos: Freie Fahrt für noch mehr Überwachungsstaat?

Überarbeiteter Redebeitrag für die Unabhängigen Listen im Gemeinderat Freiburg am 04.04.17 zum Tagesordnungspunkt „Sicherheit und Ordnung in Freiburg“ (Drucksache G-17/089)

Mit guten Gründen hatte eine Mehrheit von den Grünen über die UL und JPG bis zu einigen von der SPD im Herbst 2014 die Einführung eines Kommunalen Ordnungsdienstes in Freiburg abgelehnt. 

Die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten ebenso wie von Ordnungswidrigkeiten ist Sache der Landespolizei. Das Land hat durch eine entsprechende Ausstattung der Polizei dafür zu sorgen, dass diese Aufgabe erledigt werden kann. Diese Aufgabe kann auch nicht partiell auf die Kommune abgewälzt werden. Dazu kommt, dass nur entsprechend ausgebildete und fachlich qualifizierte Polizeibeamte mit dieser Aufgabe betreut werden sollen. Schließlich haben die Kommunen überhaupt nicht die finanziellen Möglichkeiten dafür.

Das alles hörte man lange genau so auch von OB Salomon und Bürgermeister Neideck. Gleichwohl hat sich offensichtlich Innenminister Strobl und damit die CDU mit der Zauberformel „Sicherheitspartnerschaft“ in dieser Frage durchgesetzt.
Wie war das möglich? Die Stadt wollte bekanntlich mehr Polizei für die Reviere und bekommt jetzt 10 Stellen ! mehr. Dafür stimmt die Stadt der Hochstufung von diversen Bereichen in der Innenstadt zu videoüberwachten Kriminalitätsschwerpunkten hoch und stellt eine eigene Polizeitruppe auf.
Damit das Ganze nicht auf denselben entschiedenen Widerstand stößt wie vor einem Jahr hat man dem Kind einen anderen Namen (GvD statt KOD) und ein neues Aufgabengebiet gegeben.

Die Argumente gegen einen KOD gelten eins zu eins für uns weiter. 

Die neue GVD Truppe beruht auf derselben gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage § 80 Polizeigesetz und die Einsatzkräfte haben dieselben polizeilichen Zwangsmittel, wie sie die Polizei hat und wie sie auch der KOD gehabt hätte („Die gemeindlichen Vollzugsbediensteten haben bei der Erledigung ihrer polizeilichen Dienstverrichtungen die Stellung von Polizeibeamten im Sinne dieses Gesetzes“, § 80 Abs.2 Polizeigesetz).
Das Ziel ist jedenfalls derzeit nicht mehr Lärmverhinderung in der Innenstadt, sondern Bettler, Obdachlose, Straßenmusiker also im Grunde Menschen die Hilfe benötigen, denen soziale Angebote gemacht werden sollten, anstatt sie mit einer Stadtpolizei zu bekämpfen.
Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Skandal, wenn die Stadt für 660.000 € pro Jahr eine Truppe gegen in erster Linie Hilfsbedürftige aufstellt und gleichzeitig die dringend angeforderte halbe zusätzliche Stelle für die Streetworker auf dem Stühlinger Kirchplatz ablehnt. Die zwei halben Stellen können auch nicht annähernd die von Ihnen verlangte Arbeit leisten. Das ist dringend benötigte Lebenshilfe . Diesen Menschen ist nicht mit GVD und Videoüberwachung geholfen sondern sie brauchen Ansprechpartner, die ihnen helfen, ihre persönlichen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, was Voraussetzung dafür ist, dass sie vielleicht ihre Alkohol- oder Drogenproblematik in den Griff bekommen. Für 660.000 € im Jahr könnten wir diese soziale Hilfsangebote in der Stadt massiv ausbauen und damit wirklich etwas Vernünftiges machen.
Wenn jetzt von den Grünen gesagt wird, die Menschen haben mit den neuen GvD Streifen in der Stadt einen Ansprechpartner, dann muss man sich doch fragen, wofür? Den einen werden die Punks stören mit ihren Hunden die betteln, ein Geschäftsmann wird sich über zu laute Straßenmusik beschweren, ein Dritter wird sich darüber mokieren, dass ein Obdachloser sich irgendwo niedergelassen hat, und haben wir erst mal diese kommunale Polizeitruppe, dann wird niemand ernsthaft glauben, dass wir noch einen Einfluss darauf haben, wie diese ihre Arbeit erledigt, z.B. mit der Vertreibung von Obdachlosen aus der Innenstadt.
Wollen wir eigentlich eine solche cleane Innenstadt, gereinigt von allem was nach arm und elend aussieht? Sind wir damit nicht mittendrin in der Diskussion um das Stadtjubiläum, in welche Richtung sich Freiburg eigentlich entwickelt? 2020 und danach ?
Ich bin völlig mit Professor Hefendehl, Strafrechtswissenschaftler an der Universität Freiburg einig, wenn er diese kommunale Vollzugstruppe ablehnt und darauf verweist, dass entgegen der Aussage von Oberbürgermeister Salomon eine „drohende Verwahrlosung“ (sprechen wir eigentlich von derselben Stadt ?) mitnichten eine Vorstufe für Kriminalität ist.
Weder sog. illegales Betteln noch der sog. Müllfrevel oder das Wildpinkeln sind Vorstufen von kriminellem Verhalten – das belegen alle Untersuchungen zu diesem Thema.

Wenn wir also den KOD abgelehnt haben dann müssen wir diese GVD Spezialtruppe erst recht ablehnen.

Hefendehl verweist in seinem Interview in Radio Dreieckland weiter darauf, wie fatal es ist, wenn Freiburg ständig als angeblich kriminellste Stadt Baden-Württembergs und Kriminalitätshochburg hochgehalten wird. Die Begeisterung der kommunalen Monopol Presse für repressive Maßnahmen heize die Stimmung noch an.
Aus dem Blick geraten dabei die Fakten, etwa die begrenzte Aussagekraft einer Polizeistatistik, - worauf nicht zuletzt die Polizei selbst immer wieder verweist –
denken wir nur daran, dass von den Anzeigen, die in die Statistik eingehen, etwa im Bereich der Sexualdelikte, die Staatsanwaltschaft rund 60% einstellt, wegen Zweifel an der Aussagekraft des Anzeigenden oder aus anderen Gründen, es also einen großen Unterschied zwischen zur Anzeige gebrachten angeblichen Straftaten und angeklagten oder gar abgeurteilten Straftaten gibt, - die Polizeistatistik führt gleichwohl die aufgenommenen Anzeigen sämtlich als „Straftaten“ auf,
oder an die Tatsache, dass Freiburg auf Grund seiner Lage im Dreiländereck und seiner Anziehungskraft für Menschen aus dem Umland und der Schweiz und Frankreich mit vielen anderen Städten im Land nicht vergleichbar ist, also Äpfel mit Birnen verglichen werden.

Was also sollen diese Maßnahmen, die die Stadt weit über 1 Million / Jahr kosten werden? Ein „öffentliches Zeichen“ solle gesetzt werden, so Salomon im Hauptausschuss, man wolle zeigen, dass „wir nicht alles laufen lassen“ - einer Mehrheit im Gemeinderat, die schnell dabei ist unsere Anträge im Sozial, Jugend und Kulturbereich niederzustimmen, scheint dieses Wischiwaschi ausreichend, um den Haushalt der Stadt mit rund 2 Mio. €/Jahr , rechnet man alles zusammen, zu belasten.

Auch Hefeldehl plädiert für den Ausbau sozialer Sicherungssysteme als entscheidender Maßnahme in einer Gesellschaft, die zunehmend von großen sozialen Unterschieden geprägt ist.
Zu unserem Antrag: Für sinnvoll halten wir deshalb ein Konzept für ein halbparteiliches Konflikt-und Interessenmanagement des öffentlichen Raums, so wie es München mit dem Konzept AKIM seit Jahren praktiziert und dabei gute Erfahrungen macht, um es erst gar nicht zum Einsatz von Polizei kommen zu lassen.
Ein weiterer Bereich betrifft das gestörte Sicherheitsbedürfnis. Zwar wissen wir, dass Angsträume selten auch Taträume sind, gleichwohl macht es Sinn, diese Angsträume soweit es möglich ist, durch entsprechende Beleuchtung, Transparenz und andere Umgestaltungen zu beseitigen.
Und eine ganz praktische Hilfe ist es, ein vergünstigtes Nachttaxi einzuführen.
Die Einführung von sogenannten Kriminalitätsschwerpunkten in Freiburg halten wir für äußerst problematisch. Dort sind dann Identitätsfeststellungen ohne jeden konkreten Verdacht zulässig, mit Videokameras wird jeder und jede beobachtet, und alle empirischen Erkenntnisse belegen, dass diese Maßnahmen nicht geeignet sind, Straftaten zu verhindern – allenfalls wird der Kleinhandel mit Drogen sich neue Orte suchen. Wollen wir wirklich den öffentlichen Raum in der Innenstadt immer weiter beobachtet wissen. Ist uns bewusst, wie sich durch die Summe dieser Maßnahmen unser Alltag und unser Lebensgefühl verändern wird ?
Wenn es um Kriminalität und Sicherheit geht sollten wir genau hinschauen und uns unsere Skepsis gegen Schnellschüsse bewahren. Diese sind immer nur scheinbar eine adäquate Antwort auf Kriminalität und ihre Folgen. Unsere Fraktion lehnt die Verwaltungsvorlage ab. 

Michael Moos